Das Strafmündigkeitsalter in Irland: Ist die Zeit nun reif für eine Reform?
Author | Shauna Keniry |
Position | Junior Sophister LL.B. (Ling. Germ.) Candidate, Trinity College, Dublin |
Pages | 239-256 |
© Shauna Keniry and Dublin University Law Society
DAS STRAFMÜNDIGKEITSALTER IN IRLAND: IST
DIE ZEIT NUN REIF FÜR EINE REFORM?
SHAUNA KENIRY
Irland gilt bereits seit langem als Außenseiter in Europa bezüglich seiner
Regelung zum Strafmündigkeitsalter, eine Frage, bei der es im Kern darum
geht, die Rechte von Kindern im Konflikt mit dem Strafjustizsystem zu
bewahren. Das Strafmündigkeitsalter ist von zentraler Bedeutung für die
Rechtsordnung jedes Staates. Es schreibt nicht nur vor, ab welchem Alter
ein Minderjähriger in den Augen des Gesetzes als alt genug angesehen wird,
die Verantwortung für seine Straftaten zu übernehmen, sondern kann auch
prozessual relevant werden, indem es bestimmt, ob ein Gerichtsverfahren
eingeleitet wird, wie ein derartiges Verfahren gestaltet wird, und zu welcher
Strafe der Täter verurteilt werden soll. Diesbezüglich ist im irischen Recht
bemerkenswert, dass die Zulassung eines Kindes zur Teilnahme am
Diversionsprogramm
1
unter Vorbehalt des Schuldbekenntnisses steht, was
in erster Linie die Schuldfähigkeit des Kindes voraussetzt.
2
Am wichtigsten
ist in dieser Hinsicht deshalb, dass die Regelung über das
Strafmündigkeitsalter die faktische Schuldfähigkeit eines Kindes im
Einzelfall realistisch widerspiegelt. Ziel dieses Aufsatzes ist, die bestehende
irische Regelung bezüglich des Strafalters zu analysieren und mit Blick auf
das deutsche Jugendgerichtsgesetz und Neuentwicklungen auf europäischer
Ebene, eine Diskussion von potentiellen Reformmöglichkeiten in Gang zu
setzen.
I. Die aktuelle Rechtslage
Im Rahmen der radikalsten Reformen des irischen Jugendjustizsystems seit
dem Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde das Alter der Strafmündigkeit in
Irland durch s.52 Abs. 1 des Children Act 2001 (CA 2001) von 7 auf 12
Jahre erhöht. Kinder unter 12 Jahren galten als strafunfähig. Dabei wurde
die widerlegbare Vermutung der Strafunmündigkeit für Kinder unter 14
Jahren im s.52 Abs. 2 explizit bewahrt. Jedoch ist ein großer Teil der
Junior Sophister LL.B. (Ling. Germ.) Candidate, Trinity College, Dublin. Für ihre
sprachlichen Bemerkungen und Korrekturen bei der Textaufbereitung möchte ich Jasmin
Großmann, Nazli Heimann und Seánaí Kiely herzlich danken.
1
Children Act 2001, Part 4.
2
Children Act 2001, S.23 Abs. 1(a).
2015] Das Strafmündigkeitsalter in Irland 240
Reformmaßnahmen des Children Act 2001 nie oder nur teilweise in Kraft
getreten, und nur fünf Jahre später wurde das Strafmündigkeitsalter durch
3
Der
s.129 Abs. 1 besagt, dass ein Kind unter 12 Jahren einer Straftat nicht
beschuldigt werde, jedoch laut s.129 Abs. 2, gilt dies nicht für Kinder im
Alter von 10 und 11 Jahren, die schwerer Verbrechen, darunter Mord,
Totschlag, Vergewaltigung und schwerer sexueller Übergriffe, bezichtigt
werden. Infolgedessen gilt nach dem s.129 ein allgemeines
Strafmündigkeitsalter von 12 Jahren, mit einer Ausweichsregelung für
Straftaten besonders schwerer Art. Angesichts dessen hat Irland eins der
niedrigsten Strafmündigkeitsalters in Europa, auch wenn die absolute
Untergrenze von 10 Jahren nur für eine sehr geringe Anzahl jugendlicher
Straftäter gilt.
4
Das sehr niedrige Mindestalter steht in Opposition zu milderen
Gesetzesvorschriften an anderer Stelle, welche unter Umständen die harten
Auswirkungen des s.129 verringern können. Zum einen, obwohl die
widerlegbare Vermutung der Strafunmündigkeit für Kinder unter 14 (das
aus dem Common Law stammende Doli-Incapax-Prinzip)
5
durch s.129
Abs. 3 CJA 2006 komplett abgeschafft wurde,
6
bedarf die strafrechtliche
Verfolgung von Kindern unter 14 Jahren als Schutzmaßnahme die
Bewilligung des Generalstaatsanwalts (DPP).
7
Darüber hinaus, gemäß s.134
3
Im Folgenden als das „Doli-Incapax-Prinzip“ bezeichnet.
4
Auf dem europäischen Kontinent allgemein, lässt ein Überblick über die
Strafmündigkeitsalter der verschiedenen Länder eine breite Bandweite erkennen, jedoch in den
meisten Ländern bewegt sich das Mindestalter um die 14-Jahre-Marke. In den skandinavischen
Länder ist eher 15 Jahre die Norm; bei manchen Delikten in Russland liegt die Altersgrenze
bei 16 Jahren; in Belgien sogar bei 18 Jahren. Siehe weiter Frieder Dünkel “Jugendstrafrecht
im europäischen Vergleich im Licht aktueller Empfehlungen des Europarats“ NK Jg. 20 (2008)
H. 3 102- 104 am 110,111, Tabelle 1.
5
Das Prinzip entspricht die Regel, dass die Anklage die Annahme widerlegen müsse, dass das
Kind unter 14 Jahren unfähig unrecht zu handeln sei. Zu diesem Zweck muss gezeigt werden,
dass das Kind seine Tat als ‚,ersthaft unrecht“ versteht und nicht nur als mutwillig oder frech.
Siehe weiter Robert van Krieken, “Frech oder Schuldig: Wie das Recht über Strafmündigkeit
in England, Deutschland und Australien denkt“, in Doris Bühler-Niederbürger (ed.) Macht der
Unschuld, Das Kind als Chiffre (VS-Verlag Wiesbaden, 2005).
6
Im englischen Fall DPP v P [2007] EWHC 946 wurde das Argument vorgebracht, dass es für
das englische Parlament unmöglich sei, die Doli-Incapax-Doktrin durch Gesetz abzuschaffen,
weil das Prinzip so tief in der Common Law Rechtsordnung verwurzelt war, und dass durch
das Crime and Disorder Act 1998 lediglich die prozessuale Vermutung und nicht die Einrede
selbst aufgehoben wurde. Dies wurde vom Gericht verneint und es kann vermutet werden, das
ein irisches Gericht ähnlich vorgehen würde.
7
Diese Vorschrift kann interessanterweise mit dem aus der nationalsozialistischen Zeit
stammenden § 3 Abs. 2 des deutschen Reichsjugendgerichtsgesetzes vom Jahr 1943 verglichen
werden:„Wer unter 14 Jahren eine Verfehlung begeht, ist strafrechtlich nicht verantwortlich.
To continue reading
Request your trial