Europarechtliches Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts und deren verfassungsrechtliche Grenzen

AuthorAndrea Heck
PositionStud Jur, LLM (Human Rights), University of Exeter. The author would like to thank Johanna Heck for the support and for her encouragement and also special thanks to my beloved family
Pages118-149
[2015] COLR
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EUROPARECHTLICHES GEBOT EINER RICHTLINIENKONFORMEN
AUSLEGUNG NATIONALEN RECHTS UND DEREN
VERFASSUNGSRECHTLICHE GRENZEN
Andrea Heck
1
A EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG
In dieser Arbeit wird das Europarechtliche Gebot einer richtlinienkonformen
Auslegung des nationalen Rechts und deren verfassungsrechtliche Grenzen
thematisiert.
Die Mitgliedstaaten haben sich vertraglich über die Rechtsordnung der Europäischen
Union geeinigt, ihr Hoheitsrechte zugewiesen und ihr somit die Befugnis erteilt in
diesen Bereichen Rechtsetzungsakte zu erlassen. Die Europäische Union versteht sich
nämlich als übernationale Gemeinschaft, d.h. als „europäisches Gebilde
verfassungsrechtlicher Gattung“.
2
Die Rechtsordnung hat sich dahingehend gewandelt, dass sie trotz dieser
völkerrechtlichen Grundlage verselbständigt und automatisiert ist. Sie hat
supranationalen Charakter.
3
Daher gilt für die Mitgliedstaaten, dass sie ihre
1
Stud J ur, LLM (Human Rights), University of Exeter. The author would like to thank Johanna Heck
for the support and for her encouragement and also special thanks to my beloved family.
2
Matthias Niedobitek, in: Matthias Niedobitek, ` Europarecht Grundlagen der Union´, p. 5 f. (1 De
Gruyter 2014)
3
C-6/64, Costa v E.N.E.L., 15. July 1964 at para 1141; C-26/62, van Gend & Loos v. Netherlands
Inland Revenue Administration, 1963, n. 3
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Souveränität in diesen Bereichen eingeschränkt haben, und dass das Recht der EU
Vorrang vor ihrem Recht hat.
4
An oberster Stelle stehen das primäre Unionsrecht, die Gründungsverträge (EUV,
AEUV), die Grundrechtcharta (Art. 6 Abs. 1 EUV), die Protokolle (Art. 51 EUV),
sowie Änderungs- und Beitrittsverträge (Art. 48, 49 EUV).
5
Danach folgt als
sekundäres Unionsrecht, einfaches, von dem primären abgeleitetes Unionsrecht. Es
umfasst die Rechtsakte der Unionsorgane.
6
Gemäß Art 288 Abs. 1 AEUV sind das Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und
Stellungnahmen. Im Mittelpunkt der weiteren Erörterung stehen die
Rechtsetzungsakte des sekundären Unionsrechts in Form von Richtlinien. Gemäß Art.
4 Abs. 3 EUV haben die Mitgliedstaaten und die Union die sich aus den Verträgen
ergebenen, Aufgaben in loyaler Zusammenarbeit zu erfüllen. Es sind alle geeigneten
Maßnahmen zur Erfüllung zu ergreifen und gegebenenfalls Handlungen zu
unterlassen, die der Verwirklichung der Gemeinschaftstreue im Wege stehen
könnten.
7
Ohne diesen Grundsatz wäre die Union nicht in der Lage, ihren
Verpflichtungen nachzukommen.
8
Eine dieser Verpflichtungen ist die Umsetzung des Richtlinieninhaltes gemäß Art. 4
Abs. 3 EUV, Art. 288 Abs. 3 AEUV, und zwar entweder durch das Gebot effektiver
Umsetzung,
9
oder durch die Auslegung nationaler Normen mit Hilfe von Richtlinien,
4
C-6/64, Costa v E.N.E.L., 15. July 1964 at para 141; Matthias Herdegen, `Europarecht´p. 75 (16
C.H.Beck 2014).
5
Matthias Herdegen, `Europarecht´p 156 (16 C.H.Beck 2014).
6
Matthias Herdegen, `Europarecht´p.171 (16 C.H.Beck 2014).
7
C212/04, Adeneler u. a., Slg. 2006, I -6057, Rn. 113, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott, n.
48 f.; Marietta Auer `Neues zu Umfang und Grenzen der richtlinien-konformen Auslegung´, [2007]
NJW 1106 (1109).
8
C- 105/03, Pupino, Slg. 2005, I -5285, EuZW 2005, 433 (435).
9
Matthias Herdegen, `Europarecht´, p. 173. (16 C.H.Beck).
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was auch richtlinienkonforme Auslegung genannt wird.
10
Allerdings könnte hier ein
Konflikt zwischen der nationalen und der internationalen Ebene entstehen. Es besteht
aber der Grundsatz in loyaler Zusammenarbeit jenem europäischen
Integrationsprozess gerecht zu werden, dessen Grundlage der Vertrag von Lissabon
ist.
11
Die Einzelstaaten müssen deshalb alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um ihre
daraus resultierenden Verpflichtungen zu erfüllen.
12
Innerstaatliche Normkonflikte
mit Richtlinienrecht sind dabei zu vermeiden.
13
Richtlinien als Rechtsetzungsakte der
Union müssen in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Dieser Grundsatz dient der
Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Unionssrechts („effet utile“).
14
Auf
der anderen Seite, d.h. auf nationaler Ebene, sind hingegen verfassungsrechtliche
Schranken zu beachten und ebenso die Gesetzesbindung des Richters und die
Maßstabsfunktion des Gesetzes, das Gebot der Normenklarheit und den
rechtsstaatlichen Vertrauensschutz.
15
Dem Grundsatz der Unionstreue sind also
dadurch „Steine in den Weg gelegt“. Der Erörterung dieser speziellen Thematik
gelten die folgenden Seiten.
10
Winfried Brechmann `Die richtlinienkonforme Auslegung´ p.3 (1 C.H.Beck 1994)
11
BverfG, 30.6. 2009 2 BvE 2/08, NJW 2009, 2267 (2267 ff.); Christoph Herr mann `Der Vertrag von
Lissabon - Ein Überblick´, 2010 JURA 161 (161 f.)
12
C212/04, Adeneler u. a., Sl g. 2006, I -6057, Rn. 113; C160/01, Mau, Slg. 2003, I -4791, Rn. 35;
C111/97, EvoBus Austria, Slg. 1998, I-5411, Rn. 18; C129/96, Inter Environnement Wallonie, Slg.
1997, I -7411, Rn. 40; C91/92, Facc ini Dori, Slg. 1994, I -3325, Rn. 26; C106/89, Marleasing, Sl g.
1990, I -4135, n. 8; C125/88, Nijman, Slg. 1989, 3533, n. 6; C31/87, Beentjes, Slg. 1988, 4635, n.
39; C80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969, n. 12; C-222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, n.
53; Rs. C-14/83, von Colson und Ka mann, Slg. 1984, 1891, n. 15; C-79/83, Harz, Slg. 1984, 1921, n.
15; Christian Calliess, Matthias Ruffert, `Euv/AEUV: Kommentar´, Art. 288, n. 77. (4 C.H.Beck
2011).
13
C-397-403/01, Pfeiffer, Slg. 2004, I -8835, n. 116; Gregor Thüsing, `Zu den Grenzen
richtlinienkonformer Auslegung´, [2004] ZIP 2301 (2301 ff.).
Karl Riesenhuber, Ronny Domröse, `Richtlinienkonforme Rechts findung und nationale Methoden´,
[2005] 47 (51); Wulff-Henning Roth, `Die richtlinienkonforme Ausle gung´ [2005] EWS 385 (386 f.).
14
Matthias Herdegen, `Europarecht´p 180 (16 C.H.Beck 2014).
15
Matthias Herdegen, „Richtlinienkonforme Auslegung im Bankenrecht: Sc hranken nach Europa- und
Verfassungsrecht“ [2005] WM 1921 (1921 ff.).

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